Böswillig unterlassener Zwischenverdienst in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
Dieser Artikel erschien in der »Arbeit und Recht« (AuR) 11|2022, S. 470-477.
Prof. Dr. Henner Wolter, Berlin - Fachanwalt für Arbeitsrecht
Abstract
In der Rspr. des BAG zu böswillig unterlassenem Zwischenverdienst kann man zwei Tendenzen beobachten: Änderungen seit 2007 zu Einzelfragen böswilligen Unterlassens (dazu I.). Seit Jahrzehnten unveränderte Rspr. zu Grundfragen - Definition der Böswilligkeit sowie Notwendigkeit der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für die Entscheidung über die Böswilligkeit des Unterlassens zumutbarer Arbeit (dazu II.). Hat schon die überkommene Rspr. des BAG die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers im Annahmeverzug erheblich erweitert, gilt dies umso mehr für seine jüngere und jüngste Rspr. Sie betrifft Einzelaspekte der Anrechnung. Jedes Urteil hat die Anrechnungsmöglichkeiten von Zwischenverdienst nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess erheblich erweitert und dadurch die Rechte der Arbeitnehmer1 geschmälert.
I. Jüngere Rspr. des BAG zu böswillig unterlassenem Zwischenverdienst aus einer zumutbaren Arbeit
1. Überblick
Die Rspr. hat sich in jüngerer Zeit v.a. mit folgenden Urteilen geändert:
a) Das BAG zu nicht geschuldeter, gleichwohl verlangter Arbeit; BAG V. 7.2.2007
Böswillig unterlassener Zwischenverdienst kann darin begründet sein, dass Arbeitnehmer eine vertraglich nicht geschuldete Arbeitsleistung, die der Arbeitgeber verlangt2, verweigern bzw. nicht erledigen.
b) Das BAG zu fristgerechter Änderungskündigung mit fristloser Wirkung; BAG v. 7.2.2007
Arbeitnehmer, die eine ordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung erhalten haben, sollen nach demselben Urteil die Arbeit, die Ziel der Änderungskündigung erst nach Fristablauf ist, sogleich, unmittelbar nach Anforderung des Arbeitgebers, ausüben müssen. Andernfalls wird der Lohn mit sofortiger Wirkung und in voller Höhe einbehalten - als Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG. Auch sei ein - allerdings nach Ablauf der Kündigungsfrist - von 134.000 auf 78.000 DM jährlich abgesenktes Jahresgehalt nicht unzumutbar, nicht zuletzt wegen der mit Rückwirkung angeordneten Wiederherstellung der Arbeitsbedingungen (§ 8 KSchG) nach obsiegender Änderungskündigungsschutzklage3
c) Fehlende Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung; BAG V. 23.2.2021
Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG zur Einstellung oder Versetzung, zunächst von der st. Rspr. des BAG als gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) verstanden, wird herabgestuft zu bloß noch einem Kriterium von vielen bei der Einzelfallprüfung der Böswilligkeit nach § 615 S. 2 BGB.4 Auch bei fehlender Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG zur Versetzung können Arbeitnehmer, wenn sie ihr nicht folgen, neuerdings Zwischenverdienst böswillig unterlassen haben.
d) Dem Arbeitgeberwechsel widersprechende Arbeitnehmer - unversehens Leiharbeitnehmer beim Erwerber; BAG v. 19.5.20145
Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB widersprochen haben, sollen es sich als bös willig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müssen, wenn sie die bisherige Tätigkeit sogleich nach dem Betriebsübergang beim Betriebserwerber nicht fortsetzen, nun als dessen Leiharbeitnehmer.6
e) Unterlassene Meldung als beschäftigungssuchend sowie Auskunftspflicht zu Vermittlungsvorschlägen als böswilliges Unterlassen zumutbarer Arbeit; BAG v. 27.5.2020
Ausgangspunkt ist die Annahme einer dem Arbeitgeber gegenüber bestehenden Pflicht der Arbeitnehmer, sich nach Kündigung bei der Arbeitsagentur beschäftigungssuchend zu melden. Wird ihr nicht nachgekommen, soll dies böswilliges Unterlassen nach § 11 Nr. 2 KSchG sein können. Das BAG gibt seine abweichende Rspr. auf. Der Arbeitgeber soll einen Auskunftsanspruch zu den Vermittlungsvorschlägen der Agentur haben.
Im Einzelnen:
2. Böswillig abgelehnte Arbeit jenseits des Direktionsrechts; böswillig unterlassene Arbeit bei anderem Arbeitgeber
a) Skizze der Entwicklung der Rspr. des BAG
Zur Frage der Aufnahme bzw. Nichtaufnahme einer Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber bzw. einer solchen unter Überschreitung des Direktionsrechts beim selben Arbeitgeber, jeweils als Frage böswilligen Unterlassens zumutbarer anderer Beschäftigung, hat die Rspr. des BAG sich so entwickelt:
aa) Keine böswillige Ablehnung der Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber
Nach der ersten in der AP publizierten Entscheidung des BAG zum böswilligen Unterlassen aus dem Jahre 1958 war das Unterlassen der Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nicht böswillig:
Die gekündigte Klägerin hatte eine Drittfirma aufgrund einer Zuweisung des Arbeitsamtes darauf hingewiesen, sie sei Betriebsratsmitglied der Beklagten und wolle dieses Amt weiterhin ausüben, was ihre zeitweilige Abwesenheit von der Arbeit bei dieser Drittfirma bedingen werde. Außerdem führe sie gegen die Beklagte einen Prozess um die Wirksamkeit ihrer fristlosen Kündigung. Nach einer für sie erfolgreichen Durchführung dieses Prozesses beabsichtigte sie, die Arbeit bei der Beklagten wieder aufzunehmen.7
Das BAG hielt diese Einlassungen der Klägerin nicht für ein böswilliges Hintertreiben ihrer Einstellung bei der Drittfirma. Wenn die Klägerin wahrheitsgemäß mitteilte, dass sie Betriebsratsmitglied bei der Beklagten war und nach dem Ausgang des Kündigungsrechtsstreits die Rückkehr in den Betrieb der Beklagten beabsichtige, habe sie sich korrekt verhalten.
Von der Entscheidung nicht diskutierte Prämisse ist, dass die Nichtaufnahme der Beschäftigung gekündigter Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber als böswilliges Unterlassen i.S.d. § 11, Nr. 2 KSchG nicht ausgeschlossen ist. Andernfalls wäre die Begründung des Urteils nicht verständlich.
bb) Keine böswillig verweigerte Arbeit des Kraftfahrers an der Steinsägemaschine, zu der er nicht verpflichtet war
Der Leitsatz dieses Urteils lautet: Ein Arbeitnehmer unterlässt nicht böswillig die anderweitige Verwendung der Arbeitskraft, wenn er es ablehnt, eine vom Arbeitgeber unter Überschreitung der Grenzen des Direktionsrechts zugewiesene Tätigkeit zu verrichten.8
Der Arbeitnehmer war Kraftfahrer. Der beklagte Arbeitgeber wies ihm Arbeit an der Steinsägemaschine zu, zu der er arbeitsvertraglich nicht verpflichtet war. Der Arbeitnehmer lehnte ab und bot seine Arbeit als Kraftfahrer an. Darauf wurde das Arbeitsverhältnis von der Arbeitgeberin mehrmals fristlos gekündigt. Das ArbG erklärte die Kündigungen für unwirksam. Nach dem Urteil des BAG war die Anrechnung wegen böswillig unterlassenen Zwischenverdiensts unbegründet. Nichtaufnahme einer Arbeit, die der Arbeitgeber nicht kraft seines Direktionsrechts verlangen konnte, galt dem BAG nicht als böswilliges Unterlassen.
cc) Nach Maßgabe des Einzelfalls böswillig verweigerte Arbeit des Kraftfahrers als Mitarbeiter Restholz, zu der er nicht verpflichtet war
Das Urteil9 ist unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten bedeutsam. Zunächst soll es um Böswilligkeit des Unterlassens einer Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber gehen, die dieser einem Arbeitnehmer unter Überschreitung der Grenzen des Direktionsrechts zuweist - also eine ähnliche Konstellation wie die, die dem Urteil des BAG vom 3.12.1980 zugrunde gelegen hatte. Die entgegenstehende Rspr. laut Urteil vom 3.12.1980 gibt das BAG auf.
b) Konsequenzen der geänderten Rechtsprechung
Das Urteil des BAG vom 7.2.2007 erweitert die Anrechnungsmöglichkeiten nach § 615 S. 2 BGB wegen böswillig unterlassener zumutbarer Arbeit erheblich. Sie soll sich nun auf - nicht definierte -, vom Arbeitnehmer gerade nicht geschuldete Tätigkeiten erstrecken. D.h. umgekehrt: der Arbeitnehmer soll zum Erhalt seines Anspruchs auf Annahmeverzugslohn nach § 615 S. 1 BGB
- bei demselben Arbeitgeber nun auch - und gerade - irgendeine nicht vertragsgemäße Arbeit, insbesondere die, die durch fristgerechte Änderungskündigung erst nach Fristablauf durchgesetzt werden soll sowie
- »realistische Arbeitsmöglichkeiten« bei einem anderen Arbeitgeber wahrnehmen müssen,10 beides mit sofortiger Wirkung.
Diese beiden Erweiterungen des Tatbestands böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes nach §§ 11, Nr. 2 KSchG, 615 S. 2 BGB potenzieren die Möglichkeiten der Anrechnung. V.a. gilt dies für die Notwendigkeit der Arbeitssuche bei Dritten, vage eingegrenzt durch »realistische« Arbeitsmöglichkeiten.
Der Hinweis des BAG in seinem Urteil, das Angebot vertragsgerechter Arbeit würde den Annahmeverzug nach § 615 S. 1 BGB beenden, kann die durch Rspr. des BAG erweiterten Anrechnungsmöglichkeiten nach § 615 S. 2 BGB nicht begründen. § 615 S. 2 BGB setzt den Fortbestand des Annahmeverzugs nach S. 1 voraus. Böswillig unterlassene, zumutbare Arbeit kann auf diesen Anspruch des Arbeitnehmers stets nur für die Zeit des Annahmeverzugs angerechnet werden, nicht für die Zeit, in der er nicht bestand.
3. Die fristgerechte betriebsbedingte Änderungskündigung mit fristloser Wirkung (2); BAG vom 7.2.2007
Dies Urteil ist unter einem weiteren Gesichtspunkt rechtlich relevant. Es geht darin um eine ordentliche Änderungskündigung mit dem Ziel einer vom Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht umfassten Tätigkeit (vom LKW-Fahrer zum Mitarbeiter im »Restholz«).11 Die Vergütung des Arbeitnehmers sollte unverändert bleiben.
Allerdings verlangte die Beklagte die vom Arbeitnehmer vorerst, d. h. vor Ablauf der Frist zur ordentlichen Kündigung eine nicht geschuldete Tätigkeit, bereits ab deren Zugang. Der Kläger nahm unter Vorbehalt an, also mit Wirkung ab Ablauf der Kündigungsfrist, erhob Klage nach § 2 KSchG und bot seine Dienste als LKW-Fahrer an. Die Beklagte stellte die Lohnzahlung mit sofortiger Wirkung ein.
Dies könne, so das BAG, nur bedeuten: Der Kläger habe die vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht geschuldete Arbeit böswillig unterlassen. Damit ist sein Lohnanspruch gem. S§ 611, 615 S. 1 BGB durch Anrechnung mit sofortiger Wirkung, »ipso iure«,12 erloschen.
Im Übrigen meint das BAG: Die Unzumutbarkeit anderer Arbeit im Arbeitsverhältnis könne »dem Grundsatz nach« während des Laufs der Kündigungsfrist nicht anders beurteilt werden als nach deren Ablauf.13 Auch dem kann nicht gefolgt werden. Beide Parteien sind während der Kündigungsfrist an die bisher vereinbarte Tätigkeit gebunden. Der Vertrag hat während seiner Laufzeit nicht auch noch den Inhalt, dass Arbeitnehmer keine nicht vertragsgemäße zumutbare anderer Arbeit unterlassen dürfen und also auch nicht vertragsgemäße, jedenfalls zumutbare und zugewiesene Arbeit leisten müssen.
Ein derartiger Inhalt kann dem Arbeitsvertrag nicht durch ergänzende Vertragsauslegung entnommen werden.14 Auch §§ 615 S. 2 BGB, 11 KSchG ist eine Relativierung des Arbeitsvertrages, ein solcher Vertragsinhalt auch nicht »ergänzend « zu entnehmen.
Ziel der Änderungskündigungsschutzklage nach § 2 KSchG ist die Feststellung, dass die Änderungskündigung sozial ungerechtfertigt ist. Dies wollen Arbeitnehmer erst für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist festgestellt wissen.
Schließlich werden die Arbeitsbedingungen erst ab diesem Zeitpunkt geändert. - Nun aber soll dieselbe Arbeit, die Arbeitnehmern nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht gerechtfertigt erscheint, ihnen gegenüber mit sofortiger Wirkung insofern gerechtfertigt sein und kann durch Anrechnung ungeachtet des Arbeitsvertrages durchgesetzt werden. Dem kann nicht gefolgt werden.
Zur Begründung der Zuweisung von Arbeit mit sofortiger Wirkung und außerhalb des Direktionsrechts und Einstellung der Lohnzahlung bei Weigerung heißt es im Urteil: Arbeitspflicht und Arbeitsverhältnis sowie die Obliegenheit zur Rücksichtnahme aus § 242 BGB beträfen »unterschiedliche Kategorien«. § 615 S. 2 BGB regele nicht Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, sondern die »nach anderen Maßstäben zu beurteilende Obliegenheit, zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen« 15
Demgegenüber könnte präzisiert werden: Angerechnet werden kann nur, wenn Arbeitnehmer Erwerb böswillig unterlassen. Dies beinhaltet keine Obliegenheit zur Erzielung zumutbaren Verdienstes.
Zunächst könnte demgegenüber präzisiert werden: Angerechnet werden kann nur, wenn Arbeitnehmer Erwerb böswillig unterlassen. Dies beinhaltet keine Obliegenheit zur Erzielung zumutbaren Verdienstes! I.d.S. aber das Urteil des BAG.
Nach der Rspr. des BAG soll der Arbeitnehmer Arbeiten, die der Arbeitgeber erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zuweisen könnte, sogleich zu erledigen haben, wenn sie ihm so zugewiesen worden sind - oder der Lohn wird zurückbehalten. Die ordentliche Änderungskündigung hat damit insoweit faktisch die Wirkung einer außerordentlichen, ohne dass es ihrer sozialen Rechtfertigung nach § 2 KSchG bedürfte. Gekündigt war fristgerecht. Nur dagegen richtet sich die Klage nach § 2 KSchG.
Auch ist zu bedenken: Wird einem Arbeitnehmer unbillige, etwa nicht vertragsgemäße Arbeit angewiesen, muss er dem nicht Folge leisten.16 Wohl aber soll er sich Zwischenverdienst anrechnen lassen und die Einbehaltung des Lohns dulden müssen. Womöglich betreffen auch diese Institute in den Worten des BAG »unterschiedliche Kategorien«, was offenbar bedeutet, dass sie nichts miteinander zu tun haben.
4. Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats gem. § 99 BetrVG - vom gesetzlichen Verbot zum Faktor der Abwägung des Einzelfalls; BAG V. 23.2.2021
Das BAG hatte in st. Rspr. die Versetzung einer Arbeitnehmerin unter Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG als Verletzung eines gesetzlichen Verbots gefasst. Für die - mögliche - Böswilligkeit i.S.d. § 11, Nr. 2 KSchG hieß es zunächst:
»Die Arbeitnehmerin hat auch nicht böswillig i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 S. 2 BGB gehandelt, indem sie den ohne Beteiligung des BR ausgesprochenen Versetzungen nicht Folge leistete.«17
Im Urteil vom 23.2.2021 relativiert das BAG dies: Eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG erforderliche, aber fehlende Zustimmung des B zur Versetzung kommt nun noch als ein Kriterium für die Prüfung von Böswilligkeit i.S.v. § 615 S. 2 BGB in Betracht. Erforderlich sei auch insoweit die Bewertung der gesamten Umstände des konkreten Falls. 18
Dies führt die Einzelfallprüfung konsequent durch, wenn es die vom BAG noch bis 2002 verfolgte Rspr.19 aufgibt. Damit relativiert das BAG aber ebenfalls eine bisher zugunsten von Arbeitnehmern feststehende Position und beseitigt rechtlichen »Flankenschutz« für die betriebliche Mitbestimmung i.S.d. §§ 99 ff. BetrVG bei Versetzung und auch bei Einstellung.
5. Sofortige Durchsetzung des Betriebsübergangs gegenüber Arbeitnehmern ungeachtet ihres Widerspruchs20; BAG v. 19.5.2021
Eine ähnliche Sofortwirkung der Anrechnung ungeachtet der fristgerechten Änderungskündigung (vgl. oben 3.) hat folgende Entscheidung des BAG: Die Arbeitnehmerin widerspricht einem Betriebsübergang. Darauf wird ihr angeboten, ihre bisherige Arbeit stante pede nach Wirksamwerden des Betriebsübergangs, nun aber als Leiharbeitnehmerin beim Betriebserwerber zu erbringen. Das lehnt die Betroffene ab. Sie möchte dem Betriebserwerber weder als Arbeitnehmerin noch als weisungsverpflichtete Leiharbeitnehmerin dienen.
Dem BAG galt diese Weigerung als böswillig unterlassener Zwischenverdienst. Die Beklagte stellte auch in diesem Fall die Gehaltszahlung mit sofortiger Wirkung ein - ebenfalls als Anrechnung nach § 615 S. 2 BGB. Später, nach ordentlicher Kündigung, verglichen sich die Parteien gerichtlich auf Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin.
Von der Klägerin habe, so das BAG, jedenfalls die sofortige Annahme der Tätigkeit unter Vorbehalt einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit erwartet werden können.21 Die Tätigkeit sei als solche an sich zumutbar gewesen: Arbeit, Arbeitsort und Vergütung sollten sich nicht ändern. In diesem Fall unterliegt die widersprechende Klägerin. Das Verfahren wird - anders als in den meisten anderen Verfahren nach § 615 S. 2 BGB - nicht an das LAG zur Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zurückverwiesen.
6. Schlussfolgerungen aus 3. und 5. (oben)
Beide Urteile des BAG beseitigen zugunsten von Arbeitnehmern geltenden Schutz, den Kündigungs- und Widerspruchsfristen gewährleisten. Sie negieren durch die fristlose Wirkung der Anrechnung und Zurückbehaltung der Arbeitsvergütung subjektive Rechte der Arbeitnehmer.
Der durch gesetzliche und arbeitsvertragliche gewährte, vorübergehende Schutz vor erprobter Veränderung der Arbeitsbedingungen ermöglicht es Arbeitnehmern, in dieser Zeit, den Status beizubehalten, Rechte zu verteidigen, sich auf neue berufliche Perspektiven vorzubereiten sowie nach Alternativen zu suchen.
Der durch gesetzliche und arbeitsvertragliche gewährte, vorübergehende Schutz vor erprobter Veränderung der Arbeitsbedingungen ermöglicht es Arbeitnehmern, in dieser Zeit den Status beizubehalten, Rechte zu verteidigen, sich auf neue berufliche Perspektiven vorzubereiten sowie nach Alternativen zu suchen. Sofortmaßnahmen wie die hier skizzierten konterkarieren diese bedeutsamen Schutzwirkungen.
Das Urteil des BAG vom 7.2.2007 eröffnet es dem Arbeitgeber, durch sofortige Einstellung der Lohnzahlung, die als Anrechnung böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes erscheint, die fristgerechte Kündigung fristlos wirken zu lassen.
Das Urteil des BAG vom 19.5.2021 oktroyiert der Arbeitnehmerin ungeachtet ihres Widerspruchs den Betriebserwerber als Weisungsberechtigten auf, obwohl sie ihn als Vertragspartner nicht wollte. Dessen Weisungen wollte sie womöglich aber ebenso wenig unterliegen. Nicht erörtert wird die Frage, ob dies ein Eingriff in die freie Wahl des Arbeitsvertragspartners sein könnte.22
7. Die unterlassene Meldung als beschäftigungssuchend; der Auskunftsanspruch des Arbeitgebers im Annahmeverzug
a) Das Urteil des BAG v. 27.5.2020
Das Urteil hat zwei Gegenstände:
- Einen Auskunftsanspruch des im Annahmeverzug befindlichen Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer, hier bzgl. der Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur bzw. des Job Centers (s. u. e));
- ein obiter dictum zur unterlassenen Meldung des Gekündigten als arbeitssuchend (dazu sogleich b) bis d)).
Unterlassene Meldung als beschäftigungssuchend und Auskunftspflicht des Arbeitnehmers sollen zur Anrechnung nach § 11 KSchG führen können.
b) Unterlassene Meldung kein arbeitsrechtlicher Tatbestand?
Die unterlassene Meldung ist kein Tatbestand der §§ 11 Nr. 1 bis 3 KSchG, 615 S. 2 BGB oder § 74c HGB. Für das BAG kommt sie allerdings als böswillig unterlassener Zwischenverdienst in Betracht.
Immerhin bestehen mehrere vage Wirkungszusammenhänge, wie etwa: Meldet der Arbeitnehmer sich nicht als beschäftigungssuchend (s 2 SGB III), kann die Arbeitsagentur ihn nicht vermitteln. Damit können auf diesem Weg Arbeitsverhältnisse nicht zustande kommen. Und daraus nicht erzielte Arbeitseinkommen können nicht nach § 11 Nr. 1 KSchG angerechnet werden.
Hätte er sich beschäftigungssuchend gemeldet und Arbeitsnachweise erhalten, aber abgelehnt, hätte dies böswilliges Unterlassen sein können. Wie wahrscheinlich diese Zusammenhänge sein müssen, bleibt offen. Da dies als böswilliges Unterlassen die Annahmeverzugslohnansprüche jeweiliger Arbeitnehmer erlöschen lassen kann, ist ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit solcher Kausalverläufe Voraussetzung für die Anrechnung.
Auch erhalten Arbeitnehmer kein Arbeitslosengeld, wenn sie der Obliegenheit zur Meldung als beschäftigungssuchend nach § 38 Abs. 1 SGB III nicht nachkommen. Das aus diesem Grund nicht gezahlte Arbeitslosengeld kann der Arbeitgeber nicht nach § 11 Nr. 3 KSchG auf den Lohnanspruch anrechnen. Anrechenbar ist nur gezahltes Arbeitslosengeld.
Melden sich Arbeitnehmerinnen nicht beschäftigungssuchend, besteht die Sanktion des SGB III allein darin, dass sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Im Übrigen müssen sie es sowieso nicht beziehen (§§ 323 ff. SGB III). Allerdings scheint das BAG dies anderes zu sehen:
c) Obiter dictum im Urteil des BAG zum Unterlassen der Meldung als beschäftigungssuchend - böswillig unterlassenes Zwischenverdienst?
Das Unterlassen der Meldung als beschäftigungssuchend gilt der Rspr. des BAG jedenfalls als ein Element für die Feststellung böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG. Dementsprechend heißt es im Urteil: die Meldung »habe auch im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug Beachtung zu finden«23 Das unbestimmte »Beachtung finden« dürfte besagen, dass die unterlassene Meldung als arbeitssuchend jedenfalls ein Faktor bei der Gesamtabwägung - in diesem Fall offensichtlich zum Tatbestand böswilligen Unterlassens sei.24
d) Stellungnahme
Wenn Arbeitnehmer sich nicht beschäftigungssuchend melden müssen, verschlägt es in der Praxis wenig, wenn sie dies gleichwohl tun. Jedenfalls können sie dadurch u.U. einer Anrechnung auf ihren Lohnanspruch nach § 11 Nr. 2 KSchG entgehen. Über die Vermittlungsvorschläge kann »unschwer«25 Auskunft gegeben werden, wenn Annahmeverzugslohn eingeklagt wird. Vorschläge der Arbeitsagentur sollten dokumentiert werden.
In dem Sachverhalt, den das BAG zu entscheiden hatte, hatte sich der klagende Arbeitnehmer beschäftigungssuchend gemeldet.26 Das obiter dictum im Urteil - unterlassene Meldung als beschäftigungssuchend als bzgl. böswilligen Unterlassens zumutbarer Arbeit - hatte also keinen Bezug zum Fall. Obiter dicta, die für die Entscheidung, zu der sie ergehen, irrelevant sind, werten gelegentlich Fragen auf, etwa zu ihrer Reichweite oder ihrem Anwendungsbereich.
Die tragende Begründung in dem Urteil des BAG zur Meldeobliegenheit lautet: Dem Arbeitnehmer könne arbeitsrechtlich zugemutet werden, was das Gesetz ihm ohnehin abverlange. Und wiederholend: Die sozialrechtlichen Handlungspflichten könnten bei der Auslegung des Begriffs des böswilligen Unterlassens »am Maßstab der gemeinsamen Vertragsbeziehung« nicht außer Acht gelassen werden.27 M.a.W. sollen Antragserfordernisse (§ 323 SGB III) der Agentur für Arbeit gegenüber auch im Arbeitsverhältnis, also in der »gemeinsamen Vertragsbeziehung zu berücksichtigen« sein.
Andererseits soll aber auf die - sehr weitgefasste - Zumutbarkeit i.S.d. § 140 SGB III (seinerzeit & 121) nicht abgestellt werden können. Es gehe dabei um einen anderen Regelungsgegenstand, den Schutz der Versichertengemeinschaft.28
Allerdings hat die Rspr. des BAG diese Obersätze bislang bloß statuiert, nicht begründet. Sie laufen darauf hinaus, dass das Antragserfordernis der Arbeitsagentur gegenüber zwar rein verfahrensrechtlicher Art, d.h. keine Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ist,29 ungeachtet dessen als sozialrechtliche Tatbestand aber Inhalt der privatrechtlichen Vertragsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein soll. Für einen solchen nicht vereinbarten Inhalt des Arbeitsvertrages ist weder ein Grund im Arbeitsvertrag noch eine sozialrechtliche Rechtsgrundlage, etwa in §§ 323 ff. SGB III ersichtlich.
e) Aufgabe der Rspr. des BAG v. 16.5.2000
Das Urteil des BAG vom 27.5.2020 gibt die Rspr. des Gerichts zur Irrelevanz der sozialversicherungsrechtlichen Mel-deobliegenheit für den Tatbestand des § 11 Nr. 2 KSchG auf - mit unter Umständen negativen Folgen für Grund und Höhe der Annahmeverzugslohnansprüche der Arbeitnehmer nach § 615 S. 1 BGB. Vorbehaltlich des Einzelfalls soll die unterlassene Meldung nach Änderung der Rspr. des BAG nun böswilliges Unterlassen zumutbarer Arbeit sein können - alle weiteren Schritte bis zum Unterlassen einer zumutbaren Arbeit nach Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur bzw. des Job Centers und deren Kausalitäten als gegeben vorausgesetzt. Der Begründung für diese Änderung der Rspr. des BAG kann nicht gefolgt werden. Im Urteil vom 16.5.2000 hatte das BAG dies zu Recht anders gesehen.
f) Auskunftsanspruch des Arbeitgebers zu den Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur und Obliegenheit zur Meldung als beschäftigungssuchend - Gesichtspunkte für die Böswilligkeit?
Ergibt sich ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer nicht aus § 615 S. 2 BGB, 11 Nr. 2 KSchG, 74 c Abs. 2 HGB, verschafft ihm das Urteil des BAG vom 27.5.2020 einen solchen aus § 242 BGB,30 hier zu den Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur.
Das Schrifttum geht z.T. über die vom BAG angenommenen Auskunftsansprüche des Arbeitgebers zu bestimmten Aspekten der Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur hinaus: So soll es »eigenverantwortlicher Anstrengungen« von Arbeitnehmern bedürfen - jedenfalls potentiellen dritten Arbeitgebern, wenn auch nicht dem bisherigen gegenüber;31 sie sollen sich über Stellenangebote »auf den üblichen Internetportalen« informieren und sich mit »zumutbaren Angeboten befasst« haben müssen u.s.w.32
Dies wirft in der Praxis Fragen auf, wie z.B. ob der Arbeitgeber gegenüber der Geltendmachung des Annahmeverzugslohnanspruchs einen Auskunftsanspruch und ein diesen sicherndes Leistungsverweigerungsrecht auch dann hat, wenn er z.B. behauptet, die Anstrengungen des Arbeitnehmers seien nicht »eigenverantwortlich genug«, er habe sich nicht mit allen oder nicht ausreichend mit einzelnen Stellen oder mit ihnen nicht auf allen »üblichen Portalen befasst« usw.
Kaum klarer für die Praxis wäre eine »Obliegenheit zu eigenem Tätigwerden«, wenn sich eine »realistische Arbeitsmöglichkeit bei einem Dritten bietet«33 Auch dies überlässt alles der Entscheidung des Gerichts.34 Immerhin: Behauptet der Arbeitgeber Derartiges ins Blaue hinein, ist dies keine substantiierte Darlegung. Dies könnte ein Leistungsverweigerungsrecht nicht begründen. Jedenfalls heißt es im Schrifttum im Allgemeinen dazu:
»Ob die Stellenangebote Dritter »zumutbare« Arbeit zum Gegenstand hatten und in dem Verhalten des Arbeitnehmers ein »böswilliges« Unterlassen gesehen werden kann, hat der Arbeitgeber im Rechtsstreit über die Zahlung der Annahmeverzugsvergütung weiterhin darzulegen und im Streitfall zu beweisen.«35
Die eben skizzierten Anforderungen sollen bei Annahmeverzug jedenfalls für die gesamte Dauer des Anrechnungszeitraums gelten, also unter Umständen jahrelang.36 Was dazu - zunächst die primäre Darlegungslast des Arbeitgebers zugrunde gelegt - von beiden Seiten im Einzelnen vorzutragen ist, ist kaum generalisierbar.
II. Hergebrachte Grundbegriffe böswilligen Unterlassens
Im Gegensatz zu der zahlreichen neuen Rspr. des BAG aus jüngerer und jüngster Zeit stehen zwei Grundbegriffe der Judikatur seit langem fest: Böswilligkeit und Notwendigkeit der Einzelfallprüfung. Sie werfen auch heute Fragen auf:
1. Böswilligkeit der Arbeitnehmer; Zumutbarkeit der Arbeit
a) Begrifflichkeiten
In der Rspr. des BAG hieß es zum Begriff der Böswilligkeit nach § 615 S. 2 BGB zunächst:
»Der Begriff der Böswilligkeit enthält seinem Wesen nach zwei Momente (Dem Arbeitnehmer) muss den Umständen des Falles nach ein seinen Willen betreffender Vorwurf daraus gemacht werden können, dass er während des Annahmeverzugs des Arbeitgebers untätig geblieben ist oder die Aufnahme der Arbeit verhindert hat. Weitere Voraussetzung dafür ist, dass eine Möglichkeit zum Tätigwerden überhaupt bestand und die Tätigkeit für den Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zumutbar war.«37
Die Rspr. des BAG ergänzt: Eine Absicht der Schadenszufügung sei nicht erforderlich. Es reiche Vorsatz,38nicht aber Fahrlässigkeit, auch grobe nicht.39
Schon hier trennt die Rspr. nicht hinreichend zwischen Böswilligkeit der Arbeitnehmer (Willensbezug) und Zumutbarkeit der unterlassenen Arbeit (Arbeitsbezug). Vielmehr gilt dem BAG die Zumutbarkeit der Arbeit als »zweites Moment« des Begriffs der Böswilligkeit.
Später bestimmt die Rspr. diese »zwei Momente«40 nur noch so, dass Böswilligkeit ohne weiteres als Vorsatz vorausgesetzt oder als Tautologie zur Zumutbarkeit gesetzt wird, es daher i.E. nur noch auf die Zumutbarkeit der anderweitigen Arbeit ankommt.41
Böswilligkeit ist eine subjektive Kategorie, eine solche des Willens und des Bewusstseins, Arbeitnehmern zumutbare oder unzumutbare Arbeit ist eine objektive Kategorie, die in der Art und den Umständen der - unterlassenen - Arbeit in Relation zu den - objektiven - Verhältnissen der Arbeitnehmer, aus denen sich ihnen die Zumutbarkeit ergibt, beschlossen ist.
Auch dieser Begriffsbestimmung kann, so lange sie der Rspr. schon zugrunde liegt, nicht gefolgt werden: Böswilligkeit ist eine subjektive Kategorie, eine solche des Willens und des Bewusstseins. Die dem Arbeitnehmer zumutbare oder unzumutbare Arbeit ist eine objektive Kategorie, die in der Art und den Umständen der - unterlassenen - Arbeit in Relation zu den - objektiven - Verhältnissen der Arbeitnehmer, aus denen sich ihnen die Zumutbarkeit ergibt, beschlossen ist.42 Mit ihrem Willen hat dies nichts zu tun.
Auch das Absehen von der Absichtlichkeit böswilligen Unterlassens und das Begnügen mit Vorsatz (ggf. auch Eventualvorsatz?) in der st. Rspr. des BAG wirft Fragen auf. Im allg. Sprachgebrauch ist Böswilligkeit »in böser Absicht; absichtlich böse«. Synonyme zu böswillig sind arglistig, boshaft, bösartig43 - darin liegt ein weit gravierender Vorwurf Arbeitnehmern gegenüber als im bloßen Vorsatz.
Warum - anders als sonst in der Auslegung von Arbeitsrechtstexten - dieser allg. Sprachgebrauch des absichtlich Bösen der Auslegung der S$ 11 Nr. 2 KSchG, 615 S. 2 BGB nicht zugrunde gelegt wird, wird nicht begründet und ist aus sich heraus nicht nachvollziehbar.
Aus vielem Unterlassen von Arbeitnehmern könnte ihnen, der Redeweise des BAG folgend, »ein Vorwurf gemacht werden«,44 ohne dass es böswillig oder arglistig hätte sein müssen. Böswillig müssen Arbeitnehmer noch nicht sein, die die - ihnen jedenfalls zumutbare - Arbeit trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich nicht aufgenommen hatten.45
Böswillig müssen Arbeitnehmer noch nicht sein, die die - ihnen jedenfalls zumutbare - Arbeit trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich nicht aufgenommen hatten.
Dafür kann er gute Gründe haben, etwa seine Beschäftigung bei einem Dritten; oder aber die Tatsache, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem er eine Arbeit antreten soll, nicht feststeht, ob er dazu zur Vermeidung einer Anrechnung dem Arbeitgeber gegenüber gehalten ist, insbesondere weil das Gericht noch nicht entschieden hat.
b) Resultate der begrifflichen Diskussion; Alternativen
Das Absehen vom allg. Sprachgebrauch bei der Bestimmung der Böswilligkeit und der Beschränkung des Tatbestandes des § 11 Nr. 2 KSchG auf die Zumutbarkeit des Verdienstes für Arbeitnehmer senken die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Norm zugunsten der Chancen zur Anrechnung des im Annahmeverzug befindlichen Arbeitgebers und damit zu Lasten der Ansprüche zu Unrecht gekündigter Arbeitnehmer auf Annahmeverzugslohn.
c) Mangelnde Berücksichtigung der »Vorgeschichte« der Anrechnung
Die »Vorgeschichte« der Anrechnung, die rechtsunwirksame Kündigung,46 sei Grundlage und Ausgangspunkt der Auslegung, befinden Stimmen des Schrifttums zu Recht. Insbesondere soll dabei zu berücksichtigen sein, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmer aus der bisherigen Arbeit verdrängt hat.47 Die jüngere Rspr. des BAG nimmt dies aber nicht auf. Mehr: Sie erweitert die Anrechnungsmöglichkeiten des Arbeitgebers schon in älterer, noch dezidierter in jüngerer und jüngster Rspr.
d) Beschränkung des Begriffs der Böswilligkeit
Böswillig ist daher, wer bewusst und in böser Absicht die beim Annahmeverzug bestehende Gesetzeslage ausnutzt, um dem Arbeitgeber zu schaden und sich am Lohn leistungslos zu bereichern. Vor der Entscheidung des Gerichts können Arbeitnehmer diese Schädigungsabsicht nicht haben, weil sie nicht wissen, wie das Verfahren ausgehen wird. Die Anrechnung des böswillig unterlassenen Zwischenverdienstes hat Annahmeverzug48 zur Voraussetzung. Verliert der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess, kommt es weder auf seine Leistungsfähigkeit und -bereitschaft noch auf Böswilligkeit an. Gewinnt er, wird er erst ab Entscheidung des Gerichts böswillig sein können.
Verliert der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess, kommt es weder auf seine Leistungsfähigkeit und - bereitschaft noch auf Böswilligkeit an. Gewinnt er, wird er erst ab Entscheidung des Gerichts böswillig sein können.
e) Keine rückwirkende Feststellung der Böswilligkeit auf die Zeit vor Erlass des Urteils des Arbeitsgerichts
Böswilligkeit kann nicht fingiert werden, sondern muss tatsächlich vorliegen. Beruht die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens und damit der Beginn des Annahmeverzugs des Arbeitgebers auf gesetzlicher Anordnung, und insoweit auf Fiktion, kann Böswilligkeit nur zu dem Zeitpunkt bzw. in dem Zeitraum vorliegen, für den angerechnet werden soll. Soweit die Gründe des Urteils zur Beurteilung der Böswilligkeit von Arbeitnehmern herangezogen werden, kann sich dies erst ergeben, wenn diese vorliegen. Insoweit kommen für die Böswilligkeit von Arbeitnehmern als Anrechnungs-tatbestand nur Zeiten nach Erlass der Entscheidung des Gerichts in Betracht. Anderes gilt für die Tatbestände des § 11 Nr. 1 und 3 KSchG.
2. Umfassende Einzelfallprüfung statt »vermeintlich absolut geltender Schranken vertraglicher Art«?49
a) Entwicklung der Rspr. des BAG
Schon in der ersten publizierten Entscheidung des BAG zu böswilligem Unterlassen anderweitigen Erwerbs i.S.d. § 615 S. 2 BGB heißt es, erforderlich sei stets eine unter Bewertung der gesamten Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Interessenabwägung.50 Dies behält die Rspr. des BAG bei: ein Umstand könne bei der Gesamtabwägung nicht absolut gesetzt werden.51 Auch dürfe die Prüfung aller Umstände des Einzelfalls nicht durch »vermeintlich absolut geltende Schranken vertraglicher Art abgeschnitten werden«.52
Nicht klar ist, was das BAG mit »vermeintlich absolut geltenden Schranken vertraglicher Art« meint. In einem ähnlich vagen Zusammenhang steht das vom BAG wiederholt gebrauchte Begründungselement: Ob der Vertrag und der Ver-tragsinhalt aufrechterhalten blieben, werde von den Gerichten für Arbeitssachen geprüft. Deshalb bedeute die Obliegenheit, auch eine minderbezahlte Arbeit anzunehmen, keinen Verstoß gegen den Vertragsinhaltsschutz.53 Damit tritt an die Stelle einer inhaltlichen Begründung für die Zumutbarkeit einer unterlassenen Arbeit eine - nichtssagende - institutionelle. Die Versicherung, dass etwas gerichtlich überprüfbar ist, besagt nichts zu den Kriterien, den Inhalten und Ergebnissen dieser Überprüfung.
Die vom BAG vertretene Notwendigkeit der umfassenden und konkreten Einzelfallprüfung bedeutet i.E, dass insbesondere die Arbeitnehmern zumutbare Tätigkeit - mit oder ohne Synthese mit der Böswilligkeit - Typus ist, und damit Gegenbe-griff zum juristischen Allgemeinbegriff.54
b) Konsequenzen
Dies hat für die hier zu diskutierende Problematik u.a. folgende Konsequenz: Die umfassende Einzelfallprüfung der konkreten Umstände hat die mangelnde Kalkulierbarkeit einer ausgeschlagenen oder unterlassenen anderweitigen Beschäftigung von Arbeitnehmern für ihren Anspruch auf Annahmeverzugs-lohn zur Folge. Bei den Anrechnungstatbeständen des § 11 Nr. 1 und 3 KSchG stehen Grund und Höhe der Anrechnung im Grundsatz fest. Bei § 11 Nr. 2 KSchG bleibt, nicht zuletzt aufgrund der dort vom BAG vertretenen Typologie, alles offen.
Das BAG überlässt die Prüfung der Böswilligkeit des Arbeitnehmers und der Zumutbarkeit der von ihm unterlassenen Arbeit im Einzelfall aber zu Recht den Tatsachengerichten. Insbesondere nach der (häufigen) Zurückverweisung an das LAG ist für die Praxis indes kaum nachvollziehbar, was die LAG dazu befunden haben, umso weniger, als sie dabei einen erheblichen, unüberprüfbaren Beurteilungsspielraum haben. Dementsprechend hat das BAG kaum Fallgruppen gebildet, die die Typen immerhin konkretisieren könnten.
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In diesem Beitrag wird auf Wunsch des Autors auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Personenbezeichnungen gelten an den entsprechenden Stellen gleichermaßen für alle Geschlechter. ↩
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BAG 7.2.2007,5 AZR 422/06, AuR 2007, 225, Leitsatz sowie Rn. 17; Aufgabe der Rspr. des Senats v. 3.12.1980, 5 AZR 477/78, AuR 1981, 121. ↩
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BAG 26.9.2007,5 AZR 870/06, AuR 2008, 76, Rn. 24. ↩
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Zunächst BAG 7.11.2002, 2 AZR 650/00 m.w.N. aus der früheren Rspr.; später abweichend BAG 23.2.2021, 5 AZR 213/20, AuR 2021, 382, Rn. 17. ↩
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BAG 27.5.2020,5 AZR 387/19, AuR 2020, 447, Rn. 47, obiter dictum; Aufgabe der Rspr. des BAG im Urteil 16.5.2000, 9 AZR 203/99, AuR 2000, 225 f., AuR 2001, 37. ↩
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BAG 19.5.2021, 5 AZR 420/20, AuR 2021, 475, Rn. 16. ↩
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BAG 18.10.1958, 2 AZR 291/58, Rn. 3. Nach Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Aufl. 2021, § 95, Rn. 92, mit Fn. 368, soll dieses Urteil des BAG Beleg dafür sein, dass je nach den Umständen das Unterlassen jeder Bemühungen um eine Arbeit als geradezu böswillig angesehen werden kann(BAG, a.a.O., Rn. 20). Die im Schaub zitierte Quelle belegt indes das Gegenteil dessen, was sie belegen soll. ↩
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BAG 3.12.1980,5 AZR 477/78, AuR 1981, 121. ↩
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BAG 7.2.2007,5 AZR 422/06, AuR 2007, 225; vgl. dazu auch unten, 3. ↩
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BAG 7.2.2007, a.a.O., Rn. 16, en passant; zu Arbeitsmöglichkeiten bei Dritten ausführlicher z.B. BAG 22.3.2017,5 AZR 337/16, AuR 2017, 463 mwN; vgl. auch BAG 11.1.2006, 5 AZR 98/05, AuR 2006, 169, Rn. 19 ff. offenbar zu Arbeit bei dritten AG; »Eigene Anstrengungen zur möglichen Aufnahme einer zumutbaren Arbeit«; »realistische Arbeitsmöglichkeit kann Abgabe von eigenen Angeboten mit einschließen«, gemeint ist bei Dritten; beide a.a.O. ↩
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BAG 7.2.2007,5 AZR 422/06, AuR 2007, 225. ↩
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BAG 27.5.2020, a.a.O., Rn. 39; Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Aufl. 2021, § 95, Rn. 71. ↩
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BAG 7.2.2007, a.a.O., Rn. 16. ↩
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Zur ergänzenden Vertragsauslegung des Arbeitsvertrages bei § 615 BGB vgl. jüngst BAG 23.2.2021 - 5 AZR 314/20, AuR 2021, 337, m. kritischer Anm. Gravenhorst, jurisPR-ArbR 27/2021 Anm. 6. ↩
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Derselbe Maßstab in den Urteilen 23.2.2021, 5 AZR 213/20, AuR 2021, 382 Rn. 17 sowie 19.5.2021, 5 AZR 420/20, AuR 2021, 475, Rn. 17 sowie 22. ↩
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BAG 18.10.2017, 10 AZR 330/16, AuR 2017, 511. ↩
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BAG 7.11.2002, 2 AZR 650/00, Orientierungssatz 3. sowie Rn. 35 m.w.N., insbesondere Verweis auf BAG 20.9.1993, 2 AZR 283/93. ↩
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BAG 23.2.2021, 5 AZR 213/20, Rn. 14 unter Verweis auf BAG 7.11.2002. ↩
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.5.2021, 5 AZR 420/20, AuR 2021, 475, Rn. 23? ↩
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BAG 19.5.2021, 5 AZR 420/20, AuR 2021, 475. ↩
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BAG, a.a.O., Rn. 23. ↩
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Das BAG erwähnt in seiner Rspr. zum böswilligen Unterlassen von Zwischenverdienst gelegentlich, es sei das Grundrecht von Arbeitnehmern auf freie Wahl des Vertragspartners zu beachten. In den Urteilen v. 18.12.2008, 8 AZR 692/07 und 8 AZR 660/07 befand das BAG über eine ähnliche Konstellation. Die Kläger der Ausgangsverfahren und Beschwerdeführer der darauffolgenden Verfassungsbeschwerde hatten einem Wechsel des Arbeitsvertragspartners widersprochen und waren alsdann jahrelang als Leiharbeitnehmer des Betriebserwerbers beschäftigt worden. Das BVerfG befand, dass die Urteile des BAG die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzten. Betroffen war das Grundrecht auf freie Wahl des Vertragspartners (BVerfG 25.2.2011, 1 BvR 1741/09, AuR 2011, 132, BVerfG 15.5.2011, 1 BvR 1786/09). Es ist nicht ersichtlich, dass das BAG Grundsätze aus diesem Beschluss des BVerfG auf diese vergleichbare Problematik bezogen hätte. ↩
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BAG 27.5.2020, ebd. ↩
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BAG 27.5.2020, a.a.O., Rn. 49; vgl. dazu näher unten IV. 2. ↩
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BAG 27.5.2020, a.a.O., Rn. 36. ↩
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BAG 27.5.2020, a.a.O., Rn. 40. ↩
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BAG 27.5.2020, a.a.O., Rn. 47. ↩
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BAG 7.2.2007,5 AZR 422/06, AuR 2007, 225, Rn. 15; im Urteil vom 27.5.2020, a.a.O., Rn. 47 hieß es dagegen später, die Meldepflicht nach § 38 Abs. 1 SGB Ill habe auch im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug Beachtung zu finden. ↩
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Schlegel/Voelzke, SGB III, 2014, § 323, Rn. 16 ff. ↩
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BAG 27.5.2020, a.a.O., Rn. 29 ff. ↩
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BAG 11.1.2006, 5 AZR 98/05, AuR 2006, 241, Rn. 19; anders dagegen uU BAG ↩
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ErfK/Kiel, a.a.O., Rn. 8, 8a. ↩
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BAG 11.1.2006, 5 AZR 98/05, AuR 2006, 241, Rn. 19 f. sowie 22.3.2017, 5 AZR 337/16, AuR 2017, 463, Rn. 27; ErfK/Kiel, a.a.O., Rn. 8. ↩
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Das BAG statuiert diverse Pflichten bzw. Obliegenheiten des Arbeitnehmers, damit dieser nicht in die Gefahr der Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG gerät, als da sind Nachfrage-, Hinweis- und Erkundigungspflichten, Verhandlungen des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber von sich aus usw.; BAG 11.1.2006, 5 AZR 98/05, AuR 2006, 169, Rn. 21 ff. ↩
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Schaub-Linck, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Aufl. 2021, § 95, Rn. 93. ↩
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Vgl. auch BAG 24.8.1999, 9 AZR 804/98, AuR 2000, 236, 237, Rn. 44. ↩
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BAG 18.10.1958, 2 AZR 291/58, Rn. 10. ↩
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BAG 18.10.1958, a.a.O., Rn. 12; vgl. z.B. auch BAG 19.5.2000, 9 AZR 203/99, AuR 2000, 225 f. ↩
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St. Rspr. des BAG seit seinem Urteil 18.10.1958; vgl. z.B. auch BAG 16.6.2004, 5 AZR 508/03, AuR 2004, 435, Rn. 19 und 23. Eine »den Einzelfall ausblendende Unterscheidung« sei nicht gerechtfertigt. ↩
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BAG 18.10.1958, a.a.O., Rn. 10. ↩
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Vgl. z.B. BAG 18.6.1965, 5 AZR 351/64: »Der so bestimmte Begriff der Zumutbarkeit und damit Böswilligkeit«; BAG 14.11.1985, 2 AZR 98/84, AuR 1986, 314, Rn. 49: Böswillig handele, wer eine zumutbare Erwerbsmöglichkeit auslasse; BAG 24.9.2003, 5 AZR 500/02, AuR 2004, 36 f., Rn. 20: keine Böswilligkeit bei Ausschlagen unzumutbarer Arbeit. ↩
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Das BAG stellt in zahlreichen Urteilen differenzierte Erwägungen zur Zumutbarkeit an; vgl. z.B. BAG 16.6.2004, 5 AZR 508/03, AuR 2004, 435, 11.1.2006, 5 AZR 98/05, AuR 2006, 169, 11.10.2006, 5 AZR 754/05 - uSW. ↩
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Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache; Wahrig, Deutsches Wörterbuch. ↩
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Vgl. z.B. BAG 11.10.2006, 5 AZR 754/05, Rn. 20. ↩
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BAG 11.10.2006, a.a.O. ↩
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Richardi/Fischinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch,16. Aufl. 2020, Rn. 158. ↩
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Vgl. Henssler, MüKo zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 615 BGB, Rn. 81. Die dem Annah-meverzug durch das BAG vorgeschalteten Rechte des AG (sofort wirksames Zurückbehaltungsrecht, rechtskräftige Entscheidung über den Auskunftsanspruch, Anrechnung) lassen eine solche Berücksichtigung nicht erkennen. Immerhin hat der Arbeitgeber bei fristloser Kündigung seit deren Zugang keine Arbeitsvergütung mehr bezahlt. Zu Recht meint Henssler weiter, die Auslegung des § 615 S. 2 BGB dürfe wegen Art. 12 GG dem Arbeitnehmer keine Stellung aufnötigen, die er sonst vernünftigerweise nicht annehmen würde - unter Verweis auf Staudinger/Richardi/ Fischinger 2019, § 615 BGB, Rn. 168. ↩
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Vgl. z.B. BAG 17.8.2011, 5 AZR 251/10, Rn. 16; dazu APS-Biebl, 5. Aufl. 2017, § 11 KSChG Rn. 24 sowie 15. ↩
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Formulierung nach BAG 7.2.2007, 5 AZR 422/06, AuR 2007, 225, Rn. 16. ↩
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BAG 18.10.1958, 2 AZR 291/58, Rn. 10; AP Nr. 1 zu § 615 BGB Böswilligkeit. ↩
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BAG 23.2.2021,5 AZR 213/20, AuR 2021, 382, Rn. 14 m.w.N. - allerdings ist der Verknüpfung der Böswilligkeit nach § 615 S. 2 BGB mit der Zumutbarkeit, die im Übrigen § 615 S. 2 BGB gar nicht enthält, nicht zu folgen; vgl. schon oben Ill 1 a) und b). ↩
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BAG 7.2.2007, a.a.O., Rn. 16. ↩
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Z.B. BAG 11.10.2006, 5 AZR 754/05, Rn. 22. ↩
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Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 42; vgl. auch die Nachweise bei Wolter, Arbeitsrecht bei Umstrukturierung von Betrieben und Unternehmen, HSI-Schriftenreihe, Band 40, 2021, S. 186 ff. ↩